(Dies ist ein Dokument der Wolfsjagd-Orga, www.wolfsjagd-larp.de, das wir für unsere Veranstaltung mitbenutzen dürfen und deren Kanon wir bespielen)
Hintergrundinfos zur Epoche
Die hier aufgeführten Hintergrund-Infos dienen dazu, euch ein Gefühl für das Setting zu geben. Ihr müsst euch nicht alles merken. Relevant ist, was in euren Charakteren steht. Die dort beschriebenen Ereignisse, politischen Verbindungen, Namen, Verwandtschaften, uvm. sind an die historischen Gegebenheiten angelehnt, aber im Sinne der Einfachheit und künstlerischen Freiheit frei interpretiert und angepasst.
Vaganten
Wichtige Info vorab:
Die Gruppe der Vaganten ist angelehnt an die Sinti und Roma des 18. Jahrhunderts in Europa. Die dazugehörigen Charaktere sind vollwertige Spieler*innen, kein Kanonenfutter und keine reinen Antagonisten. Das Spiel mit der Fremdenfeindlichkeit steht nicht im Mittelpunkt von “Kirche Kurfürst Kant”, ist aber durchaus Teil davon. Spieler*innen, die keine Vaganten spielen, werden ausdrücklich gebeten, den Vagantenspieler*innen Spielangebote zu machen, auch wenn ihre Charaktere dieser Gruppe ablehnend gegenüberstehen. Wir bitten die Vagantenspieler*innen, darauf zu achten, ihre Rolle nicht übertrieben klischeehaft oder folkloristisch anzulegen. Es gilt hier besonders, die Charaktere und ihre Hintergründe ernst zu nehmen. Der Orga ist bewusst, dass sie sich mit dieser Gruppe auf einem politisch schwierigen Feld bewegt, bei dem ein sensibler Umgang unbedingt notwendig ist. Als Respektsbekundung gegenüber heute noch lebender Sinti und Roma geht daher 1 EUR des Con-Beitrags als Spende an eine Einrichtung, die sich für die Belange dieser Volksgruppe einsetzt.
Wir haben lange überlegt, ob wir das Spielelement der Vaganten mit in unser Setting einbeziehen, sind aber zu dem Schluss gekommen, dass wir nicht ein realhistorisches Setting bespielen und dabei gleichzeitig die -ebenfalls – real existierende Unterdrückungsgeschichte der Sinti und Roma zu ignorieren. Daher bitten wir euch, dieses Dokument einmal durchzulesen.
CONTENT – WARNUNG: Im folgenden Text werden diskriminierende Worte benutzt, da wir Originalauszüge aus (zeitgenössischen) Texten zur Verfügung stellen. Im sonstigen Sprachgebrauch, sowohl IT als auch OT, möchten wir das Z-Wort nicht verwenden.
Auszüge aus: Europa erfindet die Zigeuner / Klaus-Michael Bogdal:
S. 11: Für die Faszinationsgeschichte ist von Belang, dass man die Lebensweise der „Zigeuner“, deren schriftlose, die mündliche Tradierung pflegende Gesellschaftsordnung mit den „Wilden“ außerhalb Europas verglichen wurde, schon seit Beginn des 17.Jhd. als Folklore idealisierte. Ohnehin wurden die besitzlosen Romvölker im Gegensatz zu den Juden als Erscheinung der Wälder, der Heide, der Steppe und der Wege wahrgenommen und nicht als Figuren der Städte, des Handels, der Wissenschaft und der Kultur.
S. 13: Die Romvölker, die auf unterschiedlichen Migrationswegen einwanderten und nahezu jeden Landstrich des Kontinents einschließlich der Britischen Inseln erreichten, stellen ein […] europäisches Phänomen dar. Trotz nationaler, regionaler und sprachlich unterschiedlicher Ausprägungen gestaltete sich der Prozess der Wahrnehmung, Identitätszuschreibung, Aufnahme und Ausgrenzung als ein auffällig einheitliches, für das Begreifen der Nachtseiten europäischer Entwicklung zur Moderne aufschlussreiches Geschehen. Bei ihrer „Ankunft“ in der Übergangsphase vom Mittelalter zur Neuzeit gerieten sie in epochale Umbrüche, denen sie sich zu entziehen suchten: Strandgut aus einer vergangenen Zeit am Ufer zur Moderne. Schon bald standen sie – zunächst meist negativ – für den überwundenen Zustand, das Überholte, für Verhaltensweisen, die ihren Zeitgenossen die Schamesröte ins Gesicht trieben oder ihre Wut anstachelten. Die europäische Gesellschaft auf der Schwelle der Neuzeit suchte nach Wahrnehmungsmustern, die es ihr erlaubten, den plötzlich auftauchenden Fremden einen sozialen Ort zuzuweisen. Dieser Vorgang war von Anbeginn an mit einem hohen Grad an Emotionalität verbunden und wurde von Abwehr, Ausgrenzung und Verfolgung begleitet.
S. 15: Die Fremdbezeichnung „Zigeuner“, deren etymologische Herkunft bisher nicht zufriedenstellend geklärt werden konnte, ist wie ihre Äquvivalente in den anderen europäischen Sprachen von „Gypsy“ bis „Tattare“ selbst ein wichtiges Element dessen, was hier als Geschichte von Faszination und Verachtung untersucht wird. Sinti oder Roma werden geboren, „Zigeuner“ sind ein gesellschaftliches Konstrukt, dem ein Grundbestand an Wissen, Bildern, Motiven, Handlungsmuster und Legenden zugrunde liegt, durch die ihnen im Reden über sie kollektive Merkmale zugeschrieben werden.
S. 40: Anders als bei Büßern und Pilgern wird die Armut der Zigeuner von albert Kranz (um 1448-1517) in seiner Saxonia (1520) mit Gefühlen wie Ekel und Abscheu in Verbindung gebracht. Er spricht davon, dass sie „nach Hundeart“ leben, womit Promiskuität und Inzest gemeint sind
S. 54: Gleichzeitig werden Zigeuner mit den großen beunruhigenden, religiös hoch aufgeladenen Bedrohungen in Verbindung gebracht […], den Seuchen, und selbst durch Übertreibung, Gerüchte und Erfindungen zu einer weiteren Gefahr aufgebaut: fremdartig […] und sich über Europa ausbreitend wie eine Plage. Die großen Pestepidemien, die nach dem Dreißigjährigen Krieg 1666/67, 1709-1713 und 1720/21 Deutschland heimsuchen, bieten dazu die passende Gelegenheit. Wegen der unkontrollierbaren Mobilität der Zigeuner und anderer Vagantengruppen gelten sie als Seuchenträger. […] Einige Länder errichteten an den Grenzen zur Abschreckung sogenannte Zigeunerstöcke oder -tafeln, auf denen für die des Lesens Unkundigen die zu erwartenden Strafen bildlich dargestellt werden. Die erhaltenen Tafeln zeigen Züchtigung, Brandmarkungen und Hinrichtungen am Galgen. Für die Romgruppen folgt aus dieser Politik, dass ihr Überleben zwischen dem 16. Und 18. Jahrhundert von der Schärfe und der Konsequenz abhängt, mit der die „Blutgesetze“ durchgesetzt werden. […] Die historischen Dokumente lassen selbst bei zurückhaltender Auswertung erkennen, dass für Zigeuner Vertreibungs- und Ausrottungsmaßnahmen vorherrschten, obwohl einzelne von ihnen als Soldaten, Militärmusiker oder „Schutzzigeuner“ Duldung fanden.
S. 58: Auf Zerstörung der Lebensgrundlangen der umherziehenden Gruppen zielt die Beschlagnahmung sämtlichen bei einer Verhaftung vorgefundenen Besitzes. […] Dem gleichen Zweck dient die gewaltsame Wegnahme der Kinder: eine frühe, noch dem Zufall überlassene Form der späteren sozialpolitischen Maßnahme. […] Die nach einer Exekution der Eltern zurückbleibenden oder bei einer Ausweisung zurückbehaltenen Kinder wurden entweder in „Weisen-Zucht-oder Spinn-Häuser“ gebracht oder aber Familien übergeben. […] Einige der Vorfälle gegen die für vogelfrei erklärten Zigeuner werden nicht vergessen. Als „Zigeunerjagden“ gehen sie in die Erinnerung ein und lösen im 18.Jhd. in der Aufklärung Empörung aus. […] Ob derartige „Zigeunerjagden“ jemals stattgefunden haben, lässt sich nicht eindeutig nachweisen. Die Jagdgeschichten vermischen vermutlich zwei unterschiedliche Vorfälle. Nicht abwegig ist sie Vorstellung, dass Zigeuner, die durch Waldgebiete gewandert sind, mehr oder minder zufällig Opfer von Jagden wurden. In den Archiven jedoch lassen sich Dokumente über Verfolgungsjagden auf dem Lande durchaus finden. Sie zogen sich zum Teil über mehrere Tage hin, und in ihrem Verlauf wurden immer wieder Zigeuner verletzt oder getötet. […] Für die Aufklärer, die eine Professionalisierung und Rationalisierung der Strafverfolgung forderten, stellten derartige Praktiken eine Schule der Grausamkeit dar, in der gefährliche Leidenschaften geweckt und gemeine Triebe entfesselt wurden. […] Die frühneuzeitlichen Ordnungsmächte sehen dies anders. Wer fremder Herkunft ist – „von zigeuner-Eltern geboren…keine andere Lebensart gehabt – […] und ein infames, unehrenhaftes Leben führt, wird vertrieben und dem Tod preisgegeben. Nach der Logik der Reinigung des Gemeinwesens muss die Gewalt jene treffe, die sich eingeschlichen haben, um ihm beständig Schaden zuzufügen. Wer bei einer Verfolgung umkommt, stirbt, wie er gelebt hat: unwürdig.
S. 68: Im 16. und 17. Jahrhundert, als die Kirchen gewaltsam gegen Aberglauben und Volksmagie vorgehen, hält man die Zigeuner für Versucher, die aufgrund der magischen Fähigkeiten, die ihnen im Volksglauben zugeschrieben werden, sie Gläubigen immer wieder auf Abwege führen und, ohne Furcht vor ewiger Verdammnis und Hoffnung auf das Paradis, mit allen Mitteln betrügen. […] Werden Zigeuner bei der Ausübung religiöser Handlungen beobachtet, die von den Kirchen „ ohne priesterliche Anwesenheit“ untersagt worden sind, kommt der Verdacht auf, dass es sich um blasphemische Handlungen wie schwarze Messen handle.
S. 71: Den „ägyptischen Zauberern“ (Zigeunern) werden spezielle Fähigkeiten im Umgang mit Feuer, bei der Schatzsuche, beim Liebeszauber und immer wieder auf dem Gebiet des Wahrsagens durch Handlesen zugeschrieben.
S. 74: Menschen aller Stände verzichten indes keineswegs auf diese Form der Lebenshilfe, vor allem in Liebes – und Familiendingen. Sonst wären magische Praktiken nicht ein Dauerthema in den Eheratgebern von der frühen Neuzeit bis zum 18.Jahrhundert.
S. 76: Das Volk jedoch fürchtete die Reaktionen der Zigeuner auf die harte Bestrafung durch den Amtmann. Derartige Befürchtungen, meist aus der Landbevölkerung, sind aus dem 16. und 17. Jahrhundert mehrfach belegt. Von den magischen Kräften und der Herrschaft der Zigeuner über das Feuer ist das Volk im Gegensatz zu dem protestantischen Vertreter der Obrigkeit fest überzeugt: „Sie möchten uns sonst machen Leid/Und bringen uns in Fewerlast […]“
S. 80: Aufklärerische Gelehrte sprechen ihnen magische heilende Fähigkeiten ab und ordnen die esoterischen Praktiken dem Betrugsrepertoire der Infamen zu.
S. 82: Zwischen Dankbarkeit und Furcht schwanken die Vorkommnisse, die in den Volksund Ortssagen über die magischen Fähigkeiten der Zigeuner erzählt werden. Aufgrund der damals bestehenden Brandrisiken erklärlich, stehen, neben dem Wahrsagen und Verfluchen, Feuerabwehr und Schadenszauber im Vordergrund. […] Zusätzlich zu kirchlichen Segnungen werden bis ins 19. Jahrhundert hinein beim Häuserbau sogenannte „Feuerkugeln“ „zur Sicherung gegen Brandschaden“ an bestimmten Stellen eingegraben oder angebracht, die von umherziehenden Zigeunern verkauft werden. […] Bisweilen sind auch Behörden davon überzeugt, dass Zigeuner sogar das Gewehrfeuer abwehren können. Deshalb setzt eine württembergische Streife gegen Zigeuner zur Sicherheit und mit Erfolg auf konventionellere Tötungsmethoden […]
S.84: Aber auch das Gegenteil, sich der Hilfe der Zigeuner längerfristig zu versichern und ihr Wissen zu nutzen, ist eine mögliche Verhaltensweise gegenüber den unheimlichen Fremden. Dazu gehört die Idee „Sicherheits-Zigeuner“ in den Dörfern anzusiedeln. So ersucht ein Amtmann bei der vorgesetzten Behörde um Erlaubnis: „einen alten zigeuner samt seinem weib und kindern vor einen bettelmann ahn aufzunehmen, damit er zu verhütung feuersgefahr und anderen unheyls die in dasigen ambt sich heimlich aufhaltende zigeuner anzeigen möge“
S.141: Die adligen Damen, die […] im kurfürstlichen Schloss zu Dresden eine FrauenZimmer-Zigeuner-Masquerade aufführen, müssen nicht befürchten, vertrieben oder aufgehängt zu werden. Ebenso wenig die Hofgesellschaft und die Bürger, die sich bei einer der beliebten „ Wirthschafft(en)“ am brandenburgischen Hof […] als Zigeuner verkleiden und durch die Stadt ziehen. Zigeuner dienen als Modelle für die beliebten Maskeraden, die im 17. Jahrhundert in ganz Europa eine Zigeunermode hervorbringen […] Die Damen des Hofes spielen Zigeunerinnen, während Romfrauen an der Landesgrenze am „ nächsten Schnell- oder andern Galgen (…) aufgehenket“ werden. Schon hier ist die Gesellschaft so weit ausdifferenziert, dass dieser Widerspruch keinerlei Reibung auslöst. […] Die Maskenspiele […] geben einen Fingerzeig, dass das Phänomen eines rätselhaften Volkes nichteuropäischer Herkunft trotz der Degradierung zu infamen Gaunern und Bettlern auf erhebliches Interesse stößt.
S. 146: Mit dem umfangreichen Artikel über Zigeuner in Zedlers Universal-Lexikon wird das vermeintliche Wissen für die Gebildeten leicht greifbar. Mit dem Anspruch auf Vollständigkeit trägt er das Bisherige zusammen […], ohne allerdings zwischen Tatsachen und Fiktion zu unterscheiden […] Die Zigeuner sind im Zedler eine natio infamata, ein ehrloses und fremdartiges Volk, das „sich fast in die ganze Christenheit geschlichen“ habe. Die Untertanen eines „wohlbestellten“ europäischen Staates sollten den Kontakt mit ihnen meiden.
S. 153: Das Familiennetz verachteter und ausgegrenzter Völker entsteht nicht durch die Anhäufung dumpfer Vorurteile unaufgeklärter und unwissender Schichten. Wenn z.B. der erwähnte „Professor der morgenländischen Sprache und Literatur an der Universität zu Königsberg“ Peter von Bohlen in einer […] Arbeit Zigeuner, indische Parias und einen kaukasischen „Negerstamm“ auf Ähnlichkeiten hin untersucht, wird eine andere Dimension sichtbar. Das Netz ist nicht zuletzt ein Produkt akademischer, populärwissenschaftlicher und literarischer Praxis.
S.160: Wird den Romgruppen in den Ländern Europas vor dem Hintergrund anthropologischen Wissens der Aufklärung eine Integrations – oder wie es in der Sprache dieser Zeit heißt, Zivilisierungsperspektive eröffnet? Genauer: Betreffen die Maßnahmen, „welche die Barbary ausrotten und ein rohes, wildes, ungesittetes Wesen unter den Völkern vertreiben sollen, um die ‚Macht der Glückseligkeit der Staaten‘ zu erreichen, auch sie? Zumindest stößt die Idee einer von oben nach Nützlichkeitsüberlegungen organisierten, überwachten und kontrollierten Gesellschaft die Auseinandersetzung mit der erfolglosen Ausgrenzungs- und Vertreibungspolitik der Vergangenheit an. Zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Stellung der Zigeuner und einer Verbesserung ihrer Lage führen weder die modernen Humanwissenschaften noch die Französische Revolution, auch wenn sich zum ersten Mal eine Chance abzeichnet. Es ist nicht so, dass die Erkenntnisse der Anthropologie und der Sprachwissenschaft ohne Echo bleiben. Doch sobald sie in die Richtung konkreter sozialer Praxis und einer Verbesserung der Rechte gedeutet werden könnten, nutzt man sie stattdessen für eine erneute Ausgrenzung. Anthropologisches Wissen verschärft die Frage nach der nationalen und kulturellen Identität. Die hiervon als wesenhaft bestimmten Eigenschaften und Werte der auf höchster Zivilisationsstufe angesiedelten Europäer werden als unvereinbar mit jenen der Zigeuner betrachtet […] Drei unterschiedliche Begründungslinien sind für diese Haltung erkennbar. ERSTENS schließe das Fehlen einer Schriftkultur die Zigeuner von den entscheidenden Kommunikationsprozessen aus. […] ZWEITENS fehle ihnen als nomadisierenden Horden oder Banden von sehr einfacher sozialer Ordnung der Antrieb zur Nationen- oder Staatenbildung […] DRITTENS habe ein mehrere hundert Jahre währender Aufenthalt inmitten der europäischen Länder, die man für die höchste Zivilisationsstufe hält, an ihrem kulturlosen Verhalten […] nichts ändern können.
S. 169: Hessen-Nassau gehört [ebenso wie die Territorien der Habsbuger unter Maria Theresia] zu den wenigen Ländern, die […] eine Zwangsassimilierung der Zigeuner betreiben. Die Bevölkerungspolitik von Maria Theresia und Joseph II setzt den neuesten Wissensstand voraus, um erfolgversprechend sozialdisziplinierend und erzieherisch handeln zu können. Ansiedlung und Verpflichtung zu Arbeiten niedrigster Art zielen auf Kontrolle und Verbrechensprävention. […] 1761 bestimmt Maria Theresia […], dass der Name „Zigeuner“ durch die Bezeichnung „Neubauer“ oder „Neu-Ungarn“ […] ersetzt wird und dass diese „an feste Wohnplätze gewöhnt werden“. Sechs Jahre später werden diese Maßregeln verschärft. Die Kinder sollen den Familien weggenommen werden und „christlichen Bürgern und Landleuten“ zur Erziehung übergeben werden. Ehen zwischen Zigeunern sollen in der Regel verboten, die körperlich tauglichen Jungen über sechzehn zum Militär eingezogen und die zwischen zwölf und sechzehn „zur Erlernung eines Handwerks“ gezwungen werden. An die Stelle der […] noch üblichen Stigmatisierung, Leibesstrafen und Landesverweisungen tritt unter Maria Theresia der Versuch, die Zigeuner als ethische Gruppe mit Gewalt zu assimilieren und ihren Fortbestand zu verhindern […] So vergisst das Regulativ nicht, den Kindern zu untersagen, draußen nackt umherzulaufen und „ohne Unterschied des Geschlechts bei einander [zu] schlafen „Lückenlos wird die Liste der Gewohnheiten und Beschäftigungsarten der Zigeuner abgearbeitet. Der Ekel der christlichen Nachbarn darf nicht durch den Verzehr „gefallener Thiere“ erregt werden […] Weder dürfen sie hausieren oder Jahrmärkte aufsuchen noch sich in Zelten in den Wäldern ansiedeln.
S 173 ff.: Dass ein Zigeuner auf nützliche Weise als selbstbestimmtes und verantwortungsbewusstes Individuum an der bürgerlichen Gesellschaft in irgendeinem Land Europas teilhaben könnte, gehört in der Wissenschaft und Literatur der Aufklärung zum Undenkbaren.