Diskriminierung als Spielinhalt

An dieser Stelle möchten wir etwas ausführlicher erklären, wieso wir auf unseren Veranstaltungen mit realhistorischen Diskriminierungsformen spielen. Uns ist bewusst, dass Inhalte wie Sexismus, Rassismus und Homophobie sehr sensible Themen sind, da Betroffene Menschen auch heute noch tagtäglich damit konfrontiert werden. Man kann die Thematik kaum beleuchten, ohne für Kontroverse zu sorgen. Wir möchten es dennoch versuchen.

Mit welchen Diskriminierungsformen spielen wir?

Rassismus/Antizganismus/Antisemitismus – Homophobie – Sexismus – Ableismus – Klassismus – u.a.

Was wird dir auf unserer Veranstaltung begegnen?

Vorweg: Diskriminierung ist kein Hauptgegenstand unserer LARP – Veranstaltungen. In erster Linie geht es um Intrigen, Konflikte und persönliches Drama. Da aber die Welt des 18. Jahrhunderts voll von Diskriminierung und Vorurteilen war, ist sie auch Bestandteil unseres Spiels. Wir haben zum Beispiel Vaganten auf unseren Cons, die an das Volk der Sinti und Roma angelehnt sind. Deren Spiel besteht zu einem großen Teil aus Ablehnung und Ausgrenzung und sie sind darauf angewiesen, dass andere Spieler*innen damit spielen, um ein dichtes, emotionales Spiel zu erzeugen.

Es kann auch sein, dass wir Juden oder homosexuelle Charaktere auf unseren Veranstaltungen haben. Auch hier ist es wichtig für betreffende Spieler*innen, dass mit dieser Thematik gespielt wird, es ist Teil ihres persönlichen Konfliktes. Genauso, wie ein selbstbewusster Frauencharakter darauf angewiesen ist, dass ihr Verhalten auf Ablehnung bei der Männerwelt stößt. Die Entscheidung, mit diesen Inhalten zu spielen, haben wir ganz bewusst getroffen.

Warum tun wir das?

Dazu müssen wir etwas ausholen. Zunächst möchten wir klarstellen, dass wir auf unseren Veranstaltungen keine OT  – problematischen Ansichten dulden möchten und werden. Aber das kann ja jeder behaupten. Und tatsächlich wird es auch überall behauptet – bei fast jeder Veranstaltung lesen wir einen Disclaimer “gegen Diskriminierung”, vor jeder Schule steht auf einem Schild “Schule ohne Rassismus”, und überhaupt wird überall sehr deutlich klar gemacht, dass wir alle nicht diskriminierend sein wollen. Aber: Es gibt keine diskriminierungsfreien Räume in Deutschland. Sexismus, Rassismus, Homophobie, das sind allgegenwärtige Themen, die uns jeden Tag begegnen, unter denen Betroffenen jeden Tag leiden. Allein unsere Sprache ist voll von diskriminierenden Worten, die wir oft schon gar nicht mehr als solche wahrnehmen. Man kann das ungefähr damit vergleichen, als wenn man jemandem unbeabsichtigt auf den Fuß tritt. Der Schmerz ist da, unabhängig davon, ob man es absichtlich getan hat, oder nicht. Deshalb ist es auch so wichtig, nicht immer gleich in eine Abwehrhaltung zu gehen, sondern Betroffenen zuzuhören und ernst zu nehmen. In der Antirassismusforschung wird das auch “Perspektivenwechsel” genannt, von der Täterperspektive in die Opferperspektive. Das ist ein essentieller Teil zum Verständnis dieser Thematik. Um dieses Dokument in seiner Länge nicht zu sprengen, sprechen wir hier eine Buchempfehlung aus, die  einen umfassenden, aber gut verständlichen Überblick bietet: Tupoka Ogette: Exit Racism – Rassismuskritisch denken lernen

Kommen wir zurück zum LARP. Der Großteil der LARP – Welt ist sehr weltoffen und spricht sich gegen Diskriminierung aus. Wir möchten einfach alle gemeinsam ein schönes Spiel miteinander haben. Wir erfinden also Fremdrassen oder Bewohner*innen anderer Planeten, um Konfliktspiel zu erzeugen. “Wir” gegen “Die”, davon lebt Larp. Wir können viel unbefangener gegen Zwerge oder Elfen hetzen, oder uns über die “dreckigen Marsianer” aufregen und sie niederknüppeln. Dann gehen wir nach einem schönen Wochenende nach Hause und erzählen von unseren Abenteuern. Das ist völlig legitim, aber – und hierzu mag es unterschiedliche Meinungen geben- uns ist das zu einfach. Denn auch im LARP kann die Gesellschaft nur so wenig sexistisch/rassistisch/homophob sein, wie sie es in der Realität auch ist. Wir können OT – Diskriminierung nicht einfach abschalten. Sie ist immer da. Was wir aber können, ist, sie zu reflektieren. Uns bewusst zu machen, dass wir uns diskriminierend verhalten und es beim nächsten Mal besser zu machen. Der anderen Person nicht mehr auf den Fuß zu treten. 

Das bedeutet, dass zum Beispiel Frauen im LARP oft immer noch sexuell belästigt werden, oder man ihnen die gleichen kriegerischen Fähigkeiten abspricht, wie ein Mann sie hat. Oder dass wir auch Intime scheinbar lustige Witze über “das Bücken nach der Seife” machen. Wir betreiben auch Bodyshaming. All das eben, was wir im echten Leben auch tun. Teilweise machen wir das sehr unbewusst, oder – wenn wir es mit Fantasyrassen machen – ohne, dass es in irgendeiner Form als problematisch betrachtet wird. 

Warum nutzen wir nicht auch Fantasy – Diskriminierung?

Nun, das hat mehrere Gründe. Um den vorigen Absatz direkt aufzugreifen: Wir möchten, dass Diskriminierung im LARP problematisch ist. Wir möchten, dass ihr euch eures Täterspiels bewusst werdet und dass ihr im Idealfall etwas davon für den Alltag mit nach Hause nehmt. 

Die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts wird durch diese Themen definiert: Die Rassentheorie nimmt ihre Ursprünge, weil die Europäer einen Grund brauchen, die Sklaverei zu rechtfertigen. Sinti, Roma und Juden werden verfolgt und zwangsassimiliert, Homosexualität steht zwar nicht mehr unter Todesstrafe, wird aber hart geahndet und geächtet. Sie sind Bestandteil des täglichen Lebens. Auch heute noch spüren wir die Ausläufer dieser Sozialisierung. Vor allem betroffene Personengruppen spüren es noch. Jeden Tag. Sehr deutlich.

Ein Beispiel: Wenn ich als weiße Person das Z-Wort benutze, weil ich damit eine romantische Vorstellung vom Fahrenden Volk habe, dann finde ich das nicht problematisch. Im Gegenteil, ich bewundere ja die Lebenslust, die bunten Röcke, die tolle Musik! Was ich dabei aber nicht beachte, ist die Tatsache, dass dieses Wort schon immer eine diskriminierende Bedeutung hatte, schon immer Angehörige der Sinti und Roma abwertete. Im Zweiten Weltkrieg wurde Menschen aus diesem Kulturkreis das Z mit einer Nummer auf den Unterarm tätowiert, bevor man sie gemeinsam mit den Juden im KZ vergaste. Wir finden nicht, dass man das Wort mit diesem Hintergrundwissen noch als romantisch, geschweige denn unproblematisch bezeichnen kann. Dennoch benutzen es viele Menschen, jeden Tag. Menschen, die der Meinung sind, dass es keinen Rassismus mehr gebe, dass die Gleichberechtigung der Frau bereits auf dem Höchststand ist und dass Homosexuelle und Transgender – Menschen so frei leben können, wie noch nie. 

Wenn wir diese Themen in unserem Setting bespielen, dann möchten wir damit bewusst machen, wo all das her kommt, wie gut es uns heutzutage geht und wir möchten erreichen, dass man darüber nachdenkt, in was für einer Welt wir leben – vielmehr aber noch, in was für einer Welt wir leben wollen.

Wir haben festgestellt, dass Täterspiel, besonders in Bezug auf realhistorische Themen nicht leicht ist, weil es so nah an der Realität ist. Und das finden wir auch gut, denn es wäre schlimm, wenn es dir leicht fallen würde, ein homosexuelles Pärchen hinzurichten oder eine Rom-Frau in den Dreck zu treten. Aber wir haben auch festgestellt, dass die nachhaltige Wirkung, die Selbstreflektion viel stärker ist, als wenn ich Fantasydiskriminierung betreibe.

Wollen wir versuchen, uns in diskriminierte Gruppen hineinzuversetzen?

Nein, denn das können wir nicht. “Auch mal zu wissen, wie man sich fühlt, wenn man diskriminiert wird”, sollte kein Ansporn sein, eine diskriminierte Rolle zu spielen. Denn am Ende des Wochenendes ziehen wir unser Kostüm aus und sind wieder wir selbst. Wir haben – wenn überhaupt – nur einen kurzen Einblick in das Leben einer marginalisierten Person erhaschen können. Aber das können – und wollen wir nicht mit Diskriminierungserfahrungen gleichsetzen. Nein, es geht nicht darum, mehr Empathie für marginalisierte Personen zu entwickeln (denn wir hoffen, dass die sowieso schon da ist). Es geht um den Perspektivwechsel, darum, aktiv in die Täterposition zu gehen und diese hinterher zu reflektieren. Bewusst zu machen, was wir da tun und zu wissen, woher das alles kommt und wogegen wir im Alltag eigentlich vorgehen müssen.

Was sind unsere Grenzen?

Es gibt diesen schönen Spruch: LARP lebt von klischeehafter und überzogener Darstellung. Das finden wir nicht. Wir finden, dass eine klischeehafte Darstellung respektlos gegenüber marginalisierten Personen ist. Eine Vagantin mit dunkel geschminkter Haut, wehenden bunten Röcken und einem Goldohring, die fröhlich ums Lagerfeuer tanzt, während die Adeligen beim Tee sitzen, wird es bei uns nicht geben. Diese Menschen wurden verfolgt, ihnen wurde ihre Kultur verboten. Und deshalb wäre auch keine Vagantin so dumm, diese Kultur offen zur Schau zu stellen. Wir bemühen uns, eine respektvolle Darstellung zu erzeugen und besonders bei den Vaganten machen wir ganz klar, dass wir sie an die Romvölker jener Zeit anlehnen, sie aber nicht kopieren wollen. Das Z-Wort hat auf unseren Veranstaltungen ebenso wenig verloren, wie das N-Wort. Denn es geht uns bei unseren Spielinhalten nicht darum, Rassismus zu reproduzieren, oder irgendwelche versteckten Bedürfnisse auszuleben. 

Was ist, wenn ich selbst zu einer marginalisierten Gruppe gehöre und im LARP nicht zusätzlich noch mit diesen Themen spielen möchte? 

Erst einmal: Wenn du unter Diskriminierungserfahrungen leidest, kannst du natürlich trotzdem an unseren Veranstaltungen teilnehmen. Wenn du eine körperliche Beeinträchtigung hast, wird dich im Spiel niemand darauf anspielen, wenn du das nicht möchtest. Du spielst dann einen Menschen ohne Beeinträchtigung. Wenn du eine BiPoC bist und gern eine Adelsrolle aus Kurköln spielen möchtest, ist das selbstverständlich möglich. Du kannst auch als Frau einen Mann spielen – so du in der Lage bist, das glaubhaft darzustellen. (Es gibt hin und wieder Storylines, wo es wichtig ist, dass bespielte Geschlechter eindeutig als solche zu lesen sind). In begrenztem Maße können wir auch Charaktere schreiben, die revolutionäre Ansichten haben, die tolerant sind und weltoffen (natürlich im vorgegebenen Setting). Oder wir lassen diese Themen bei dir außen vor.

Bei deiner Anmeldung stellen wir dir Fragen zu den Spielinhalten und der Intensität. Wenn du bei “Rassismus” eine 0 angibst, werden wir deinen Charakter nicht aktiv damit konfrontieren. 

Aber: Diese Inhalte werden dir auf unserer Veranstaltung begegnen, genau wie dir auf anderen Veranstaltungen Gewalt oder Mangelspiel oder andere Triggerthemen begegnen werden. Auf wieder anderen Veranstaltung begegnet dir nichts dergleichen und man spielt mit ausgedachten Diskriminierungsformen oder aber mit gar keinen. Die Larp-Welt ist sehr groß und nicht jede Veranstaltung kann jeden Geschmack treffen. Wenn du mit diesen Themen nicht konfrontiert werden möchtest, unabhängig davon, ob du zu einer marginalisierten Gruppe zählst, oder nicht, dann sind unsere Veranstaltungen für dich vielleicht nicht ideal. Um das Ganze jedoch noch einmal zu betonen: Dir wird nicht an jeder Ecke Rassismus oder Sexismus begegnen, denn es sind nicht die hauptsächlichen Themen, mit denen wir spielen. Man kann dem also einigermaßen gut aus dem Weg gehen.

Ziehen diese Themen nicht eine Spielerschaft mit problematischen Ansichten an?

Hand aufs Herz: Das ist eine sehr gute Frage, die wir nach jetzigem Kenntnisstand nicht eindeutig mit “Nein” beantworten können. Unsere überwiegende Spielerschaft besteht aus reflektierten Menschen, die sich klar gegen Rassismus und rechtes Gedankengut positionieren. Aber natürlich können wir Menschen nur vor den Kopf schauen und wissen nicht, welche Ansichten sich dahinter verbergen. Wir hoffen allerdings, dass ein Mensch, der gerne und aktiv diskriminiert, sich auf unserer Con so unwohl fühlt, dass er nicht wieder kommt. Wir werden deine OT – Diskriminierungserfahrung nicht negieren, sondern sie immer ernst nehmen. Und wir werden Menschen mit problematischen Ansichten ohne große Diskussion von unseren Veranstaltungen ausschließen. Wir haben jedoch auch die Erfahrung gemacht, dass wir schon einige Menschen abholen und für Diskriminierung sensibilisieren konnten. Und das finden wir gut.